20. KAPITEL
Es war das zweite Mal in ebenso vielen Monaten, dass Mitch seinen Tag mit einem monströsen Kater begann. Er konnte sich an nicht viel von der vergangenen Nacht erinnern, außer dass er sie mit einer Flasche Scotch und dem brennenden Wunsch, zu vergessen, verbracht hatte.
Die heiße Dusche half ein wenig. Er begab sich nach unten, wo er das Frühstück stehen ließ, sich eine Tasse Kaffee nahm und wieder gehen wollte.
»Was ist los?«, fragte Fidela. »Was ist passiert?«
»Ich will nicht darüber sprechen.«
Sie kam auf ihn zu und nahm sein Gesicht in ihre Hände. »Du trauerst um deinen Freund, das weiß ich. Zeit wird die Wunde heilen. Das tut sie immer.«
Würde die Zeit auch diese Wunde heilen? Seine Frau ist schwanger.
»Das Baby wird ihr Trost geben.«
»Er wird sein Kind niemals kennenlernen.«
»Er ist im Himmel. Er wird alles wissen.« Sie schaute ihn an. »Erzähl mir nicht, dass du nicht an Gott glaubst. Du warst im Krieg, Mitch. Du hast die Schmerzen und die Wunder gesehen.«
Er gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Du hast recht.«
»Also glaube an das Unmögliche.«
Er nickte, weil das einfacher war, als mit ihr zu diskutieren. Gestern hätte er geglaubt. Gestern hatte er gewusst, was immer auch passierte, es würde immer etwas Gutes geben, weil er und Skye sich liebten und endlich wieder zueinandergefunden hatten. Heute Morgen jedoch war die Welt ein Scheißort, und es tat ihm leid, zurückgekommen zu sein.
Er trat aus der Tür und zuckte zusammen, als das helle Sonnenlicht seinen Schädel zu spalten schien. Er humpelte zum Stall und stolperte in sein Büro.
Vergessen scheint unmöglich, dachte er grimmig. Zumindest solange er hierblieb. Er würde irgendwohin ziehen müssen, wo ihn nicht alles an sie erinnerte. Vorausgesetzt, es gab so einen Ort irgendwo auf der Welt. Wenn er den Glauben hätte, von dem Fidela gesprochen hatte, hätte er Gott einen Deal angeboten - er gegen Pete.
Er trank den Kaffee und überlegte, den Computer anzumachen. Im Internet könnte er nach einem Ziel suchen. Irgendeinem. Vielleicht Thailand. Er könnte im Dschungel verloren gehen. Er hatte Geld. Arturo würde sich um die Ranch kümmern. Sie brauchten Mitch nicht.
»Hi.«
Erin sprang in sein Büro. »Ich habe heute keine Schule. Es ist Sommer.« Sie kicherte, als ob es das Lustigste auf der Welt wäre, dass er nichts von ihren Sommerferien wusste. »Mommy hat gesagt, ich könnte den Tag heute hier verbringen und reiten.«
Ihre hohe Stimme ließ seinen Kopf dröhnen, als ob er in einer Kirchenglocke steckte.
»Kannst du ein bisschen leiser sein?«
Sie schaute ihn verwirrt an. »Wieso?«
Er ließ sich gegen die Stuhllehne fallen. »Ach, egal. Ich weiß nicht, wo Arturo ist.«
»Er reitet die Zäune ab. Hat Fidela mir gesagt.« Sie kam näher und ließ sich direkt neben seinem Stuhl auf dem Boden nieder. »Willst du mit mir ausreiten?«
»Nein.«
»Aber es ist schön draußen.«
»Ich fühle mich nicht gut. Ich habe Kopfschmerzen.«
Sie presste die Lippen aufeinander. »Du kannst was dagegen nehmen. Mommy nimmt manchmal auch was, wenn sie Kopfschmerzen hat. Man kauft es im Laden. Oder soll ich dir ein kaltes Tuch holen? Das hilft auch.« Sie sprang auf die Füße. »Ich hole schnell ein feuchtes Tuch. Das ist sehr angenehm.«
Er hielt eine Hand hoch, um sie aufzuhalten. »Geh einfach. Ich brauche meine Ruhe.«
Sie ignorierte seine Anweisung und sagte stattdessen: »Ich kann leise sein.«
»Davon merke ich bisher nichts.«
Sie setzte sich wieder auf den Boden und schaute ihn an »Bist du traurig?«
»Was? Nein.«
Irgendwann würde er traurig sein. Doch im Moment war er über Traurigkeit weit hinaus. Allerdings nicht über den Schmerz. Der war da, hockte in seinen Eingeweiden, erinnerte ihn mit jedem Atemzug daran, dass er sie verloren hatte.
Erin habe ich auch verloren, dachte er. Er betrachtete ihr besorgtes Gesicht und wünschte sich ... was? Dass er ein Teil ihres Lebens hätte sein können? Sicher, wieso nicht. Sie war ein großartiges Kind. Er mochte alles an ihr. Liebte alles an ihr. Er wollte Teil ihrer Welt sein, ihr helfen, groß zu werden. Ihr beibringen, wie man Auto fuhr, potenzielle Freunde verschrecken. Wer würde sich nun darum kümmern?
»Hast du dich wieder mit Mommy gestritten?«, fragte sie.
»Nicht so, wie du denkst.«
»Hä?«
»Nein, ich habe mich nicht mit deiner Mutter gestritten.«
»Sie hat keine Angst vor dir.«
»Ich auch nicht. Manchmal streiten Menschen einfach.«
Er massierte sich die Schläfen und wünschte sich, ein halbes Dutzend Aspirin geschluckt zu haben, bevor er das Haus verlassen hatte. »Wer hat dir das erzählt?«, fragte er.
»Izzy. Sie erzählt mir eine ganze Menge. Über meinen Dad, damit ich mich an ihn erinnern kann, und wie es ist, auf einen Berg zu klettern. Sie sagt, ich muss keine Angst haben, wenn Erwachsene sich streiten.«
Das weckte seine Aufmerksamkeit. »Wieso solltest du Angst haben?« War Ray doch nicht der Tugendbold gewesen, als den Skye ihn beschrieben hatte? Hatte er seiner Frau und seinem Kind Angst eingeflößt?
Erin studierte angelegentlich ihre Schuhe.
Mitch stellte seine Kaffeetasse weg und beugte sich zu ihr. »Was ist los? Wer macht dir Angst?«
Sie schaute ihn mit großen Augen an. »Grandpa«, flüsterte sie. »Manchmal, wenn er schreit, verstecke ich mich im Schrank.«
Dieser Schweinehund, dachte er. Er umfasste ihre Taille und zog Erin auf seinen Schoß.
»Er ist ein großer Mann«, sagte er, als sie sich an ihn kuschelte. »Aber er wird dir nicht wehtun.« Falls Jed das je versuchte, würde er sich vor ihm zu verantworten haben.
»Wird er Mommy wehtun?«
Eine durchaus berechtigte Frage. Einfache Worte, einfach zu verstehen. Würde Jed Skye wehtun?
Mitch unterdrückte einen Fluch. Natürlich würde er das. Jed würde tun, was auch immer er tun musste, wenn er das Gefühl hatte, keine andere Wahl zu haben. Gefangen zu sein. Er würde jeden zerstören, der sich ihm in den Weg stellte. Sogar seine eigene Tochter.
Er erinnerte sich daran, wie es war, Skye zu lieben. Was sie miteinander geteilt hatten, wie sie ihn berührt hatte. Wie sie wirklich eins geworden waren. Sie hatte ihn nackt gesehen und ihn akzeptiert - alles an ihm. Sein Herz und sein Bauch sagten es ihm - sie hatte ihn nicht zurückgewiesen. Sie hatte Angst gehabt. Mehr als Angst. Sie war panisch gewesen. Und es gab nur eine Sache, die Skye so ängstigen konnte, dass sie sich von ihm abwenden würde.
Erin.
»Mitch? Wird Grandpa Mommy wehtun?«
»Nein«, sagte er fest. Er stellte Erin auf ihre Füße und stand dann auf. »Nie wieder.«
»Was meinst du damit?«
Er ging vor ihr in die Knie und legte seine Hände auf ihre Schultern. »Du bist großartig, weißt du das? Ich glaube, du bist das tollste Mädchen, das ich kenne.« Er wollte noch so viel mehr sagen. Dass er Skye liebte und Erin liebte. Dass er sie beide mit allem, was er hatte, beschützen würde.
Aber das war nicht der richtige Zeitpunkt. Er wollte zu Skye, ihr sagen, dass er alles wusste und er immer für sie da wäre. Womit auch immer Jed ihr gedroht hatte, sie würden es gemeinsam durchstehen. Sie würden einen Plan machen. Sie würde nie wieder Angst haben müssen.
»Ich bringe dich jetzt ins Haus, da kannst du Fidela beim Keksebacken helfen«, sagte er. »Wir reiten später aus, okay?«
»Okay.«
Sie wandten sich zur Tür. Erin streckte ihre Hand aus, als wollte sie, dass er sie nähme. Er tat es. Sie ist so klein, dachte er. Schutzlos. Aber das machte nichts. Sie hatte ihre Mutter, und sie hatte ihn. Gemeinsam würden sie sie beschützen.
Im Haus angekommen, nahm er Fidela beiseite, um sie zu bitten, auf Erin aufzupassen, aber bevor er etwas sagen konnte, fing sie schon an zu sprechen.
»Als Skye Erin vorbeigebracht hat, war sie traurig. Irgendetwas stimmt da nicht. Sie sagte, wir sollen gut auf ihr Kind aufpassen.« Fidela umklammerte seinen Unterarm. »Mitch, was ist los?«
»Ich weiß es nicht, aber es hat etwas mit Jed zu tun.« Er umarmte sie. »Mach dir keine Sorgen. Ich finde es heraus und werde es wieder in Ordnung bringen. Jetzt hole ich erst einmal Skye und bringe sie hierher.«
»Jed Titan ist ein mächtiger Mann.«
Mitch lächelte. »Ich auch. Letztes Mal habe ich nicht um das gekämpft, was mir wichtig war. Ich habe sie gehen lassen. Das wird nicht noch einmal passieren. Ich weiß nicht, welchen Bann er über sie gelegt hat, aber heute werde ich ihn brechen - ein für alle Mal.« Er schaute zu Erin. »Ich hab ihr gesagt, sie könnte dir beim Keksebacken helfen.«
»Natürlich«, sagte Fidela. »Und du sei vorsichtig.«
Mitch ging zur Tür. »Wenn du dir über jemanden Sorgen machen willst, dann am besten über Jed.«
Die Bar war alt, mit holzvertäfelten Wänden und einem Publikum, das aus den reichsten Männern der Stadt bestand. Jed bestellte beim Barkeeper seinen üblichen Scotch. Er war hier, um seinen Anwalt zum Lunch zu treffen. Normalerweise mochte er es nicht, mit einem Anwalt zu Mittag zu essen, aber in letzter Zeit blieb ihm keine andere Wahl. Anwälte gehörten im Moment zu seinem Leben.
Als er sich mit seinem Drink in der Hand zu einem leeren Tisch begab, sah er einen anderen Mann in der Ecke sitzen. Ihre Blicke trafen sich. Jed änderte die Richtung und ging auf ihn zu.
Garth Duncan stand auf, als Jed näher kam. Er sagte etwas zu der Person, die bei ihm saß, und traf Jed in der Mitte der Bar.
»Guten Tag«, sagte Garth und schaute sehr selbstbewusst aus. Ein kleines Lächeln umspielte seine Mundwinkel, als ob er ein Geheimnis hätte.
Wissen ist Macht, dachte Jed, ließ sich aber von seinem Bastard nicht einschüchtern.
»Du wirst nicht gewinnen«, sagte er. Kein Grund, seine Zeit mit dem Austausch von Nettigkeiten zu verplempern. »Ich spiele dieses Spiel schon länger, als du auf der Welt bist, und ich bin immer als Sieger hervorgegangen.«
Garth ließ das Lächeln durchbrechen. »Für einen alten Mann, der des Hochverrats angeklagt ist, schwingst du ganz schön große Reden. Es ist bereits vorbei, Jed. Du hast es nur noch nicht mitbekommen. Aber bitte, versuche, mich zu schlagen. Ich mag einen guten Kampf.«
Hinter dem Lächeln sah Jed Wut, Zorn und Entschlossenheit in den Augen seines Sohnes. War das seinetwegen, oder gab es einen anderen Grund dafür?
»Du hast die Grenze überschritten, als du meine Tochter verletzt hast«, sagte Jed. »Die Bohrinsel in die Luft zu jagen war ein großer Fehler.«
Garth studierte ihn. »Da stimme ich zu. Wer immer das getan hat, war ein Idiot, aber ich war es nicht.«
Jed wehrte ihn mit einer Kopfbewegung ab. »Du glaubst, ich bin blöd?«
»Das ist eine Frage, die ein anderes Mal beantwortet werden sollte«, erwiderte Garth. »Ich trage die Lorbeeren für alles, was ich getan habe, mit Stolz. Deine Töchter haben mir für mein Geld eine großartige Show geliefert. Du solltest stolz auf sie sein. Aber Izzy? Sie hat nichts, was mich interessiert, also habe ich sie in Ruhe gelassen. Mit der Explosion hatte ich nichts zu tun. Da musst du dich leider woanders umschauen.«
Was der Wahrheit entsprach, aber Jed wollte sie nicht anerkennen.
»Wieso sollte ich dir glauben?«
»Es interessiert mich nicht, ob du mir glaubst oder nicht, Jed. Tatsache ist, dass ich es nicht war.«
Jed beugte sich ein wenig vor und senkte die Stimme. »Ich werde dich fertigmachen, Junge.«
Garth sah eher amüsiert als eingeschüchtert aus. »Versuch es ruhig. Aber bedenke, dieses Mal spielst du weit außerhalb deiner Liga. Du weißt ja nicht einmal, was ich will, wie also willst du mich aufhalten?«
»Du willst alles. Genau wie ich.«
Der amüsierte Ausdruck auf Garths Gesicht schwand. »Ich bin nicht wie du. Du hast ein Vermögen geerbt und es vermehrt. Na und? Ich habe mit nichts angefangen und ein Imperium aufgebaut. Du bist verbraucht und unwichtig.«
»Warum versuchst du dann so verzweifelt, mich zu schlagen?«
Das Lächeln kehrte zurück. »Weil ich es kann.«
Skye zwang sich, sich auf ihr Ziel zu konzentrieren. Hier rauszukommen. Erin war auf der Cassidy-Ranch, was bedeutete, dass sie nicht in der Nähe von Jed war, und das war alles, was im Moment zählte. Mitch würde sie beschützen. Er mochte Skye zwar am liebsten vom Erdboden tilgen wollen, aber er würde eher sterben, als dass Erin etwas passierte. Darauf würde sie das Leben ihrer Tochter verwetten.
Denn Mitch war ein guter Mann. Der beste, den sie je kennengelernt hatte.
»Später«, sagte sie sich, als sie die Sachen ihrer Tochter in einen Koffer packte. Erins Bücher und Spielzeuge waren bereits im Auto verstaut. Sie schätzte, dass sie den ganzen Nachmittag hatte, bis ihr Vater zurückkommen würde, aber sie wollte kein Risiko eingehen.
Endlich war ihr alles klar geworden. Sie würde um das kämpfen, was ihr wichtig war. Sie würde sich ihrem Vater stellen und danach versuchen, Mitch zurückzugewinnen. Aber erst einmal musste sie von Glory‘s Gate verschwinden.
Die Ironie der Situation entging ihr nicht. Ihr ganzes Leben hatte sie mit dem Versuch verbracht, sich dieser Mauern würdig zu zeigen. Hatte versucht, sich so zu fühlen, als würde sie wirklich hierher gehören. Wo sie in Wahrheit doch nur Jeds Liebe haben wollte. Etwas, das sie nie gefunden hatte. Vielleicht existierte sie gar nicht. So wie bei Pru.
Sie war seine Tochter, und das sollte ihm etwas bedeuten. Aber das tat es nicht, und je eher sie das akzeptierte, desto schneller könnte sie mit ihrem Leben weitermachen. Sie hatte sich bereits einmal für ihren Vater verkauft. Das würde kein zweites Mal passieren.
Als der Koffer voll war, schloss sie ihn und trug ihn hinunter in ihr Auto. Ihre Sachen waren bereits gepackt. Sie musste nur noch mal ihr Make-up durchsehen und ...
»Verreist du?«, fragte ihr Vater aus der Küche kommend. »Scheint mir recht viel Gepäck in deinem Wagen zu sein.«
Sie hob das Kinn. »Ich gehe. Erin und ich ziehen aus.«
Jed sah müde aus, und seine Augen waren rot unterlaufen. »Ich habe dich gewarnt, was passieren würde, wenn du das versuchst. Ich werde dich nicht noch einmal warnen. Skye, du tust, was ich dir sage, oder ich werde ...«
Sie unterbrach ihn. »Ja, ich kenne die Leier. Du wirst mich wegsperren lassen. Ärzte werden meinen Zustand bestätigen, blablabla.«
Er schaute sie verwundert an. »Wer zum Teufel bist du, so mit mir zu reden?«
»Ich bin deine Tochter, Jed. Die Tochter, die du schon mal benutzt, zu deinem Vorteil ausgenutzt und fallen gelassen hast. Oh, warte, du brauchst bestimmt genauere Angaben, denn das trifft ja auf uns alle drei zu.«
»Ich weiß nicht, was du glaubst zu tun, aber du wirst jetzt deine Koffer wieder ins Haus bringen und auspacken, oder ich werde dafür sorgen, dass du es für den Rest deines Lebens bereust.«
Sie konnte die Angst immer noch in sich spüren, aber sie war nicht so stark wie ihre Entschlossenheit. Sie würde sich das nicht mehr gefallen lassen. Sie war weder seine Angestellte noch seine Hündin.
»Nein«, sagte sie entschlossen. »Ich werde nicht auspacken. Ich werde auch nicht bleiben. Ich wollte, dass es zwischen uns anders ist, dass wir eine Familie sind. Aber das ist mit dir leider nicht möglich. Du willst immer nur haben, aber gibst im Gegenzug nichts zurück. Niemand außer dir ist dir wichtig.«
»Oh, armes Mädchen. War dein Leben so hart? Zu viele Ponys, um die du dich kümmern musstest?« Mit steifen Schritten kam er auf sie zu. »Ich habe mich um dich gekümmert und es dir an nichts fehlen lassen. Alles, was ich dafür von dir verlange ...«
»Ist meine Seele.«
»Du warst schon immer übertrieben dramatisch. Das hast du von deiner Mutter.«
»Eine Frau, die du in den Selbstmord getrieben hast.«
»Sie ist immer labil gewesen. Und eine Idiotin.«
»Sie hat dich so sehr geliebt; als sie herausfand, dass du sie nicht zurückliebtest, hat sie sich umgebracht.«
»Das ist nicht mein Problem.«
»Dem stimme ich zu. Aber das hätte es sein sollen. Als ich klein war, fand ich dich einfach nur großartig. Du konntest alles. Jetzt fange ich an zu sehen, dass du nur ein egoistischer Narr bist, der sich nur für sich interessiert. Du kannst mich nur auf Linie halten, indem du mich bedrohst. Was sagt das wohl über deine elterlichen Fähigkeiten aus?«
»Ich schwöre dir, ich werde dich wegsperren lassen, Skye. Du wirst dir noch wünschen, tot zu sein. Vielleicht versuchst du dann ja auch, dich umzubringen, wie deine Mutter.«
Sie ignorierte seine Worte, weil sie keine Rolle mehr spielten. Er konnte ihr nicht wehtun, außer sie ließ es zu. Und das würde sie nicht mehr.
»Du kannst mich nicht einsperren. Du hast nur dich, weil du es genau so immer haben wolltest. Das ist dein Spiel. Ich hingegen habe Schwestern, die es von jeder Straßenecke in Dallas in die Welt hinausrufen werden. Sie wissen, was du vorhast, und gemeinsam werden wir dich davon abhalten. Du hast Ärzte? Prima, ich hab mehr.«
»Dazu fehlt dir das Geld.«
»Ich habe genug. Außerdem wird es für dich ein bisschen schwierig, es aus dem Gefängnis heraus mit mir aufzunehmen, meinst du nicht? Denn das ist der Ort, den die Regierung für Landesverräter vorgesehen hat.«
Er fluchte. »Du weißt, dass ich damit nichts zu tun habe.«
»Stimmt. Aber wer weiß das noch? Was wird die Öffentlichkeit denken, wenn deine Familie dich nicht unterstützt?«
Rot vor Wut schaute er sie an. »Du drohst mir?«
»Na, wie fühlt sich das an, Dad?«
Sie würde damit nicht durchkommen, aber es fühlte sich wirklich gut an.
»Ich laufe nicht davon«, sagte sie. »Ich ziehe zu Lexi, bis ich eine Wohnung gefunden habe. Ich sage das nur, damit du weißt, dass du mich nicht vertrieben hast. Ich werde gegen dich kämpfen, und ich werde gewinnen, denn ich liebe meine Tochter, und das ist nichts, was du auch nur ansatzweise verstehen kannst.«
»Du wirst nicht eine Sekunde ohne mich überleben.«
»Dann überbewertest du deinen Platz in meinem Leben. Es wird mir gut gehen. Ich habe eine Stiftung zu leiten und eine Tochter aufzuziehen und einen Mann zurückzugewinnen.«
»Damit kannst du ja wohl nicht Mitch meinen. Warum wolltest du ihn zurückhaben?«
»Weil er meine Welt ist. Ich werde tun, was auch immer nötig ist, um ihn davon zu überzeugen, dass ich nur einen schwachen Moment hatte und aus Angst heraus gehandelt habe. Er wird mir verzeihen.«
Zumindest hoffte sie das. In Wahrheit war sie nicht so überzeugt, wie sie geklungen hatte.
»Sei dir da mal nicht so sicher«, höhnte Jed.
»Sie kann sich aber sicher sein.«
Die Stimme kam von hinten. Skye hielt den Atem an und drehte sich um. Da stand Mitch im Foyer.
»Du gehst?«, fragte er.
»Ich verlasse nur Glory‘s Gate. Nicht Dallas.« Sie schluckte. Was bedeutete es, dass er hier war? »Ich ziehe zu Lexi.«
»Davon hat sie mir gar nichts erzählt.«
»Du hast sie getroffen?«
»Ich habe den Nachmittag mit ihr verbracht.« Er hielt eine Mappe hoch. »Interessante Informationen. Diese sogenannten Experten deines Vaters existieren gar nicht. Lexi war heute Morgen kurz hier, um sich die Namen aufzuschreiben.« Er schaute Jed an. »Es ist einfach nur schick gedruckt, mehr nicht. Oder wie wir hier zu sagen pflegen: großer Hut, aber keine Rinder.«
Skye schluckte. »Die Briefe sind nicht echt?«
Jed starrte sie an. »Ich werde dich trotzdem auslöschen.«
»Ich kann nicht glauben, dass er mich so hereingelegt hat«, sagte Skye zu Mitch gewandt, während ihr Vater aus dem Raum stolzierte. »Ich bin so eine dumme Kuh.«
»Er hat Erin bedroht. Damit hast du nicht gerechnet.«
»Warte mal. Woher weißt du das?«
Er schaute sie ein wenig verlegen an. »Deine Tochter ist heute Morgen bei mir vorbeigekommen. Im Gespräch mit ihr ist mir klar geworden, dass Jed hinter der ganzen Sache stecken musste. Er hat dich hinters Licht geführt.«
»Und ich bin darauf hereingefallen. Es tut mir leid.«
»Ich weiß.«
Sie ging zu ihm. »Ich habe nichts von dem gemeint, was ich zu dir gesagt habe. Ich hatte Angst und habe einfach reagiert und dir damit sehr wehgetan. Mitch, es tut mir so leid. Ich fühle mich schrecklich. Ich wollte das nicht. Das weißt du, oder? Ich weiß, dass ich die Worte nicht ungeschehen machen kann.«
Sie wollte im Boden versinken. Tiefe Scham erfasste sie.
»Es tut mir so leid«, flüsterte sie, den Tränen nahe.
Er ließ die Mappe auf einen Stuhl fallen und nahm Skye in die Arme. »Ich weiß.«
»Wirklich. Ich war so dumm und habe nicht nachgedacht.«
»Ich weiß.«
»Ich liebe dich. Ich will alles tun, damit du mir glaubst. Sogar betteln.«
Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Obwohl, vielleicht, wenn du nackt bist ...« Er strich eine Strähne hinter ihr Ohr. »Skye, ich verstehe es. Jed weiß, welche Knöpfe er bei dir drücken muss.«
»Das werde ich nie wieder zulassen, versprochen.«
Er schaute ihr in die Augen. »Nächstes Mal kommst du gleich zu mir. Zusammen wird uns dann schon was einfallen.«
»Das werde ich.«
»Gut. Also ziehst du wirklich bei Lexi ein? Wird das nicht ein bisschen voll, mit Cruz und allem?«
»Na ja, eigentlich ist es Cruz‘ Haus, und es ist wirklich riesig Ich dachte, dass du vielleicht bei mir bleiben möchtest.«
»Wirklich? Du willst mich immer noch?«
»Skye, ich liebe dich. Hast du das immer noch nicht kapiert?«
Erleichterung und Freude rauschten durch ihren Körper. Sie beugte sich vor und küsste ihn.
»Ja«, flüsterte sie. »Ich würde sehr gerne bei dir wohnen, und Erin wird überschnappen vor Freude.«
»Gut. Du weißt, dass ich dir ein so großes und schickes Haus wie Glory‘s Gate bauen würde, wenn du das willst?«
Und das würde er. Mitch stand zu seinem Wort.
Sie trat einen Schritt zurück und drehte sich langsam im Kreis, nahm die hohe Decke und die Antiquitäten in sich auf. Hier war sie aufgewachsen. Das Haus stand für so vieles in ihrem Leben. Seinetwegen hatte sie Mitch verloren.
»Es ist nur ein Haus«, sagte sie ihm. »Ich will keines, das ihm ähnlich ist.«
Er sah sie verwirrt an. »Aber du liebst dieses Haus.«
»Nein. Ich liebe dich. Ich will kein Haus. Ich will ein Heim, und das ist da, wo du bist. Auf der Ranch.«
»Weißt du, dass wir organische Rinder und frei laufende Hühner haben? Wir sind quasi Baumumarmer.«
»Ich habe davon gehört, und ich habe kein Problem damit.« Sie küsste ihn erneut. »Ich liebe dich, Mitch.«
»Ich liebe dich auch. Los jetzt, hol deine restlichen Sachen, und dann fahren wir zu Erin. Dann können wir zu dritt in den Sonnenuntergang reiten, wie im Film.«
Sie lachte. »Das wäre ein perfektes Ende.«
- ENDE -